Jacob Johann Björnståhl

Björnståhl journeyed through Europe on his way to and from Itay in the years 1770-1773. The letters he wrote during this voyage were published in Swedish, with German and Italian versions following shortly thereafter.

The German edition is entitled: Briefe seinen ausländischen Reisen an den Königlichen Bibliothekar C. C. Gjörwell in Stockholm. Aus dem Schwedischen übersetzt von Just. Ernst. Groskurd, (Leipzig und Rostock, bey Johann Christian Koppe, 1780-1783).

A serious Oriental scholar in his own right, as preceptor of the Rudbeck family, Björnståhl was travelling in the company of his two young charges. His letters here reflect


9. Brief. Paris 14. Septemb. 1770

Herr von Voltaire fängt nun an, täglich eingezogener zu leben, sein Alter macht, daß aller Zugang zu ihm nicht wenig schwer wird. Viele sind nach Ferney gereiset, um ihn zu sehen, haben aber unverrichteter Sachen wieder abreisen müssen; mir kann es vielleicht eben so gehen. Einer meiner hiesigen Pariser Freunde hat an einen Nachbarn und vertrauten Freund des Herrn von Voltaire geschrieben, und ihn gebeten, vorläufig mit ihm zu reden, damit ich nicht drum kommen, ihn zu sehen, denn ich bin äusserst begierig, diesen Gegner des Herrn Rousseau kennen zu lernen. Er bekam neulich eine Antwort, die den Ausfall ziemlich zweifelhaft macht. Unter andern schreibt er so:

Monsieur de Voltaire verra l'article de Votre lettre, qui concerne M. Bieurnstol, et il ne dépendra pas de mes soins, qu'il ne le reçoive. Mais je ne peux rien que la façon dont il prendra ma proposition. Il devient tous les jours d'un accès plus difficile. Ses ouvrages et sa nouvelle Ville lui prennent un tems fort considérable, au point, que depuis 8 jours, quoique j'eusse à lui parler, je n'ai pû le voir qu'en courant, et qu'il a fallu des circonstances heureuses pour l'engager à jetter les yeux sur l'ouvrage et lui arracher la réponse. Imaginés Vous, qu'il a retranché le diner, de sorte que lorsque je vais chez lui, il faut souvent m'en revenir à jeun, ou y coucher, et alors on ne soupe qu'à dix heures. On prépare un 3me Volume des Choses utiles et agréables; l'on a mis sous presse le 3me Volume des supplémens à l'Encyclopédie. Dites à Votre cher Suédois de s'adresser à mon ami Gabard, Chargé des affaires du Roi, je l'ai prévenu, il m'avisera de son arrivée, et en attendant, il le présentera au Résident. S'il voulait se charger d'une traduction des Géorgiques de Monsieur de Lille, que je meurs d'envie de voir, je Vous prierois de la lui remettre.
Sie sehen hieraus, wie er lebt, und was er itzt unter Händen hat. La nouvelle Ville bedürfte vielleicht eine Anmerkung. Herr von Voltaire hat bey seinem Schlosse verschiedene Häuser für mißvergnügten von Genf auswandernde Handwerker, Uhrmacher, u. a., aufbauen lassen, die daselbst verschiedene Sachen verarbeiten und verfertigen, welchen Hr. von Voltaire durch Vermittelung des französischen Residenten in Paris und sonst guten Abgang verschaffet, und zwar zu weit bessern Preise, als die von Geneve kommenden, die ausserdem für verbotene Waare angesehen werden; diese Unterthanen des Hrn. von Voltaire bezahlen nichts für irgend einige bürgerliche Nahrung weder Schatz noch Abgaben, und können folglich ihre verarbeiteten Waaren zu viel bessern Preise verkaufen, zum grossen Schaden für Genf, das dadurch Arbeit und Absatz verliert. Weitern Unterricht hievon werde ich die Ehre haben, Ihnen zu geben, wenn ich so nahe komme, daß ich diese sogenannte Stadt sehe, und auf der Stelle selbst Licht bekomme; denn ich hoffe wenigstens den Ort sehen zu können, sollte ich auch den Besitzer nicht sehen, es müßte denn dort, wie in China, dem christlichen Namen verboten seyn, sich in der Stadt selbst aufzuhalten. Doch haben wir itzt gute Hofnung, von Hrn von Voltaire selbst wohl aufgenommen zu werden, seit dem Hr. d'Alembert so gütig gewesen, mir einen guten Empfehlungsbrief an ihn zu geben, worin er so ausdrücklich bittet, daß man ihn zu sehen bekommen mögte. Er sagt unter andern:
Ce billet Vous sera remis, mon cher et illustre confrere, par deux honnêtes étrangers M. de Rudbeck et M. Björnstahl, qui mourant d'envie de Vous voir, m'ont demandé avec instance de leur en procurer le moyen. Ils ne Vous demandent qu'un instant, si Vos occupations ne Vous permettent pas de leur en donner d'avantage, et ils veulent pouvoir dire: nous l'avons vû. J'espere que par amitié pour moi, et par egard pour eux Vous vouliés bien les recevoir. Je Vous embrasse de tout mon coeur.
Es trift sich auch vielleicht so glücklich, wenn wir hinkommen, daß wir Hrn. d'Alembert bey Hrn. von Voltaire finden. Die Aerzte haben Hrn. d'Alembert gerathen, um seiner schwachen Gesundheit willen, eine Reise nach Italien zu thun, da er dis Jahr sehr krank gewesen ist, und seine Geisteskräfte sich ansehnlich vermindert haben, so daß er nach der Krankheit nicht, wie vorher, arbeiten kann, und nicht im Stande ist, seine Gedanken zusammen zu halten. Ich sagte ihm einmal, es käme daher, weil er vorher zuviel gearbeitet, und damit seine Nerven geschwächt hätte. Allein er antwortete mir, es sind unzählich viel andere, die mehr gearbeitet haben, als ich. Er denkt in diesen Tagen seine Reise nach Italien anzutreten, wo ich abermals mit ihm umzugehen hoffe, wie er mir gütigst angeboten hat. Er nimt seine Weg über Lyon, Genf, Turin, u.s.w.

11. Brief. Genf, den 10ten October 1770.
Besuch bey Hrn von Voltaire auf Ferney. Beschreibung von Ferney. Schilderung des Hrn. von Voltaire. Seine neuste Arbeiten. Schaumünze auf ihn.
Meinem Bersprechen gemäß erfolgen nun Neuigkeiten von dem alten und betagten Hrn. von Voltaire. Ich kam den 1sten dieses nach Genf. Nachdem ich den 2ten die Stadt und Bibliothek besehen hatt, war für mich nichts wichtiger, als diesen berühmten Mann zu sehen. Ich reisete also den 3ten nach Ferney, etwas über eine Meile von Genf, in der Hoffnung, dort zugleich Hrn. d'Alembert anzutreffen, der itzt bey Hrn. von Voltaire war; allein zu allem Unglücke war er bey meiner Ankunft mit Madame Denys, Hrn. v. Voltaires Schwestertochter, ausgefahren. Gleichwol ging ich in das Schloß, und ließ mich bey Hrn. von Voltaire melden. Er ließ mir sagen, er wäre krank, und ließ mir Erfrischungen in der Hitze, insbesondere Sirop de Capillaire anbieten, der hier sehr gebräuchlich ist. Ich antwortete, alle Süßigkeiten würden mir sehr herbe seyn, wenn ich nicht die Ehre hätte, Hrn. von Voltaire zu sehen, dessen Anblick mir angenehmer als die besten Gerichte seyn würden: dis bat ich den Bedienten dem Hrn. von Voltaire zu sagen. Er nahm diese Freyheit wohl auf, und schickte mir seinen Sekretär, Herrn Vanniere, um mir Gesellschaft zu leisten, diesem übergab ich Hrn. d'Alemberts Brief, den er in die Hände des Hrn. Voltaire lieferte. Endlich kam Hr. von Voltaire in den Saal, wo wir waren, und bat um Entschuldigung, daß er mich so lange warten lassen, sagte, daß er das Fieber hätte, u.s.w. Ich bat ihn gleichfalls um Vergebung, daß ich so dreist gewesen, ihn zu beschweren; mein begieriges Verlangen, die Ehre zu haben, ihn, der einen so hohen Rang in dem Reiche des Gelehrten einnehme, zu sehen, wäre so groß gewesen, u. dgl. Er beantwortete meine Höflichkeiten mit Gegenhöflichkeiten, und fragte mich, nachdem wir ein wenig zusammen gewesen waren, ob ich mit ihm in seinem Garten spatzieren gehen wollte. Unterm Spatzieren redeten wir von allerhand, von König Carl XII, von Czar Peter, vom rußischen Kriege, von Ihro Majestät der Königin von Schweden, er sagte: Elle m'honore de sa protection, u. dgl. Ich machte die Anwendung davon auf den Anspruch, den reisende Schweden machen könnten, Hrn. von Voltaire zu sehen; wie wenige derer wären, die diesen Vortheil gehabt hätten, und wie sehr ich es Hrn. d'Alembert zu danken hätte, der mir den Vortheil verschaft, einen so grossen Mann zu sehen. Herr von Voltaire sagte: Herr d'Alembert ist ein grosser Mann, aber ich bin nicht mehr als ein Schatten; Hr. Rudbeck, der allzeit in meiner Gesellschaft war, antwortete hierauf: ce n'apartient, qu'aux grands hommes, d'aprécier leurs semblables, Herr von Voltaire sagte ihm hierüber viel höfliches, in solchen mich so genau angehenden Ausdrücken, daß ichs hier übergehen muß. Hr. Rudbeck sagte einige Verse aus der Henriade her: dis gefiel Hernn von Voltaire unglaublich wohl, er sagte zuletzt: Vous serés une ressource pour Votre patrie. Ich antwortete, es sey Apollos Gabe zu weissagen, und wünschte, daß er auch dismal mögte wahr geweissagt haben. Ich rühmte den guten Geschmack, der in seinem Garten und Schlosse herrschte; er sagte; c'est ma petite retraite. Ich sagte, es käme uns sonderbar vor, den Schnee auf den Alpen zu sehen, und zwischen Blumenbeeten zu spatzieren: ja, sagte er, wenn wir hier Trauben lesen, sehen wir einen ewigen Schnee, der so nahe er uns auch scheint, doch mehr als 20 Meilen von uns entfernt ist. Er freuete sich unglaublich über die Siege der Russen; die Kaiserin von Rußland schreibt ihm mit eigner Hand lange Briefe auf, und das recht oft, fast jede Woche. Er hatte noch neulich einen sehr gnädigen Brief von ihr bekommen, worin sie sagt, daß sie kein Vergnügen am Kriege findet, doch will sie, da sie einmal angegriffen ist, das Kriegesglück so weit treiben, als sie kann, u.s.w. Es wird ihr ein Vergnügen seyn, wenn ihre Regierung so beschaffen ist, daß sie Philosophen, besonders einem so grossen, wie Hr. v. Voltaire, gefallen kann, u. dgl. Wir redeten langen zusammen von verschiedenen Materien. Er, der vorher Fieber haben wollte, vergaß sich itzt so, daß er zwey bis drey Stunden mit uns im Garten spatzieren ging. Als es gegen Abend kühl zu werden anfing, bat ich ihn, seiner Gesundheit zu schonen, und herein zu gehen. Er zeigte uns hernach seine Zimmer, seine Studierstube und Büchersammlung, die aus 6 bis 7000 Bänden besteht; man findet Bücher, die man kaum darin vermuthen sollte, insbesondre hätte man sie in der Theologie und Geschichte für vollständig. Herr von Voltaire bewies mir die seltene Ehre, sich in mein Stammbuch zu Schreiben, und zwar auf dieselbe Seite, wo Herr d'Alembert sich eingezeichnet hatte. Als ich Abschied nahm, versicherte ich ihn, daß ich diesen unvergleichen Tag niemals vergessen würde; doch käme es auf ihn selbst an, ob er seines gleichen haben sollte, wenn er uns erlaubte, bey unserer Rückreise aus Italien, ihm noch einmal aufzuwarten. Er sagte: Très volontiers; mais je ne serai plus.

Nachher besahe ich zugleich mit Hrn. Rudbeck die Kirche, die hr. von Voltaire bey dem Schlosse aufbauen lassen. Draussen in der Kirchmauer selbst hat er sein Grab in Gestalt einer zugespitzte Säule mauren lassen, es ist der Schloßthüre gerade gegen über, so daß ers sieht, so oft er in die Thür heraus tritt. Die Kirche ist einfach, aber schön; auf dem Altare steht ein kleines Crucifix, neben diesem auch auf dem Altare das Bild des Erlösers von Bronz in Lebensgrösse, das seine offene Seite zeiget, aber der Heilige oder Schutzpatron des Kirchspiels ist in einen Winkel bey die Thür gestellt. Auf dem Vordergiebel bey der grossen Kirchthüre steht: Deo erexit Voltaire. MDCCLXI. Das Schloß Ferney, oder wie mans auch schreibt, Fernex, wurde 1759 gebauet, und zwar so geschwind, daß es um Ostern angefangen, und am Johannis fertig war; es liegt in der zu Frankreich gehörigen Landschaft Gex. Vorher wohnte er auf Delices, dichte vor den Stadthoren von Genf; allein da er hier Schauspiele aufführte, welches gegen die Genfer Gesetze ist, und die Republik es ihm verhindern wollte, verkaufte er Delices, das itzt Hr. Tronchin, ein Vetter von dem Verfasser des Lettres de la Campgne, bewohnt. Nachher besahen wir die neuen Gebäude, die Herr von Voltaire für die Mißvergnügten in Genf aufbauen lassen; es sind viele schöne und grose Häuser, zusammen ungefehr 40; an einem von ihnen stand: Manufacture Royale de Montres à Ferney, wo, wie man uns sagte, wol 100 Uhrmacher arbeiten. Man ist damit beschäftiget, ein recht schönes Haus für des Herrn Voltaire Handskretär Hrn. Vanniere zu bauen, der ein Schwizer von Geburt ist; doch gehört noch etwas dazu, bis man es eine neue Stadt nennen kan. Der Anfang ist indessen schön, und übertrift das, was der König von Frankreich gleichfalls für die Genfer Flüchthinge angelegt hat, welches Versoix heißt, bey einem Dorfe gleiches Namens, ungefehr zwey Meilen von Genf im Lande Gex.

Sie sind vielleicht begierig zu wissen, wie Hr. von Voltaire aussieht. Alle sagen, er ist häßlich. Aber ich sage, er ist etwas lang, sehr schmal, mager und ziemlich bleich, grosse schwarze Augen, einen grossen und ziemlich brieten Mund, eine grosse Nase, ein grosses Kinn, und was wäre nicht groß an ihm? Er sieht satirisch aus; wenn er lacht, zieht er seinen breiten Mond zusammen, sieht alsdenn gut aus, und gleicht einem gewissen Geistlichen in Schweden, den ich nicht nenne darf, weil diesem ehrwürdigen Manne nicht mehr damit gedient seyn mögte, Hrn. von Voltaire, als diesem, einem Geistlichen zu gleichen. Er geht etwas krum, thut aber lange Schritte. Er hat ein gutes Gesicht, braucht niemals Brillen, ohngeachtet er gegenwärtig im 77sten Jahre ist, geboren den 20sten Februar 1694. Ich verwunderte mich, daß er mit einer so leichten Hand, so gut, und zwar ohne Brille schrieb. Er arbeitet und schreibt beständig, oft ganze Nächte. Wenn er im Bette liegt, und ihm etwas einfällt, so klingelt er dem Sekretär, in welcher Stunde der Nacht es seyn mag, und er muß schreiben, was Hr. von Voltaire ihm diktirt. Der Sekretär schläft oben in der Bibliothek, und muß beständig zur Hand seyn. Seine meiste Beschäftigung besteht im Reinschreiben. Hr. von Voltaire ist in Gesellschaft sehr angenehm, &uum;beraus höflich, ein vollkommener Hofmann; aber fällt ihm etwas ein, es sey bey Tische oder in Gesellschaft, so geht er gleich in seine Kammer und schreibts; dann komt er ganz munter wieder. Zuweilen, wie man mir gesagt hat, ist er nicht auf so guter Laune. Er spielt oft Schach, besonders mit dem Exjesuiten, Vater Adam, der bey ihm ist, und die Aufsicht über sein ganzes Gut und Vermögen hat. Hr. von Voltaire stellte ihn einmal seinen Freunden vor, und sagte: Voila le pere Adm, mais ce n'est pas le premier homme du monde. Herr von Voltaire hat, ausser Ferney und dem darunter gehörigen Kirchspiel selbigen Namens, noch ein anderes Schloß nicht weit von hier, das Tournay heißt; also ist er Seigneur de Ferney et Tournay; unter das letztere gehören ebenfalls einige Dörfer inden Kirchspielen Brigny und Chambaisy. Von allen diesen Gütern zieht er jährlich etwa 10000 Livres Einkünfte; ausserdem hat er noch Capitalen an Gelde; so daß er in allem ungefähr 50000 Livres im Jahre Einkünft hat. Alles wird seine Schwestertochter, Madame Denys, erben. Sie ist ein artiges Frauenzimmer, von vielen Witz, Wittwe und etwas bey Jahren. Wir begegneten ihr zugleich mit Hrn. d'Alembert auf unserer Rckreise: sie wollte, wir sollten wieder umkehren, um von der guten Bewirthung, die sie uns machen würde, Gebrauch zu machen; allein ich verbat es, und versicherte, daß ich niemals so wohl empfangen wäre, als durch die besonders gute Aufnahme von ihrem Oheim.

Nun auch eine paar Worte von Hrn. Voltaires neuesten Arbeiten. Einige werde ich in meinem letzteren Briefe von Paris genannt haben, also begnüge ich mich an zwey sonderbaren Schriften, die neulich herausgekommen find. Die eine heißt Dieu; sie ist eine Widerlegung des abscheulichen Buchs le Systeme de la Nature, das nebst sechs andern in Paris verboten wurde; man laubt, Hr. Diderot habe es geschrieben. Hr. von Voltaire hat in der genannten Schrift dieses atheistische Lehrgebäude widerlegt, aber wie mich deucht, sagt er hier nichts neues. Allein das andere ist besonders merkwürdig; es hat den Titel: Histoire abrégée des Religions du Monde, ou Analyse de l'Encyclopédie de Voltaire. à Geneve 1770. 2 Theile, der erste von 64, der andre von 76 Seiten in Oktav. Es ist überaus gut, rührend und schön geschrieben. Er fängt mit der natürlichen Religion an. Dann geht er zur Abgötteren, und untersucht, ob jemals eine wirklich abgöttische Religion vorhanden gewesen, welches er kaum zugeben will. Darauf redet er von der jüdischen Religion. In dem andern Theile schreibt er von der Wahrheit und Göttlichkeit der christlichen Religion, und zwar auf eine Art, wie es wo niemand von Hrn. von Voltaire vermuthet hätte. Er zeigt die Nothwendigkeit und Vollkommenheit der christlichen Religion, wie weit sie alle andere Religionen hinter sich zurück lasse, und dis in einer besonderes sinnreichen Kürze. Er löset verschiedene Einwürfe u.s.w. Sie müssen dis Buch bey uns einschaffen. Lesen Sie es bald, und urtheilen Sie, ob ich Recht habe. Oben drein findet man einen Abriß von der ganzen muselmännischen Geschichte, auch das Leben, die Eroberungen der vornehmsten Califen, u.s.w. Doch ich muß den geringen Rest von meinem Papiere anwenden, von einer Schaumünze zu reden, die man voriges Jahr auf herrn von Voltaire geschlagen hat; sie ist sehr rar, indem kaum mehr als 8 Stück devon vorhanden sind. Sie hat auf einer Seite hrn. von Voltaires Brustbild, das ihm ziemlich gleichet, umher steht: Il ôte aux nations le bandeau de l'erreur, ein Vers aus der Henriade. Auf der andern Seite ist ein Altar, worauf die Sinnbilder des Heldengedichts, der Schauspiele u.s.w., wie Trompeten, Helm, Schwert, musikalische Instrumente, Masken, u. dgl., liegen; auf dem Altare die Inschrift: Sereniss. Principi. Car. Theod. Electori Palatino offerebat G.C. Wechter Jun. MDCCLXIX darunter steht: Voltaire né le XX. Fevr. MDCXCIV. Allein der erwehnte Vers mißfiel den Geistlichen sowol, als dem Churfürsten, der auch seinen Namen nicht drauf haben wollte; aus dieser Ursache wurden so wenige mit dieser Inschrift geschlagen. In diesem Jahre hat man einen andern Abdruck gemacht, der Hrn. von Voltaire sehr gleicht; aber jener Ver sowol als die Inschrift ist ausgelassen: anstatt des erstern ist nur ein Kranz, und auf den Altar hat man statt des letztern gesetzt: Tiré d'apres nature au chateau de Ferney. G.C. Wechter. Gravé MDCCLXX. Ich sahe beide Schaumünzen bey hrn. Rieu in Genf, der auch die vollständigste Sammlung von dem hat, was hr. von Voltaire kleines und grosses geschrieben hat. Der Verfasser hat selbst nicht alles. Bey ihm sah ich auch Hrn. v. Voltaires geschriebene Anmerkungen in Hrn. Rousseaus Büchern, insbersondere zu des letzterwehnten Antwort an den Erzbischof von Paris, Hrn. Beaumont, und dem Contrat Social. Hr. von Voltaire hat an den Rand geschrieben, und überall das schärfste Salz aufgestreuet. Ich will nicht von einer seiner Schriften reden, die ganz gegen Rousseau ist, denn sie ist von Grobheiten voll. Sie ist als Anmerkungen zu Hrn. Voltaires Briefe an Hrn. Hume geschrieben, unter dem Anstriche, als wenn Voltaires Fehler in dem gedachten Briefe überall scharf beurtheilt werden sollten; gleichwol ist Voltaire selbt er Verfasser, um desto beissender sind auch die Anmerkungen. Aber genug für dismal von Voltaire.


Volume III

6. Brief Ferney, den 1sten October 1773.

Besuch bey herrn von Voltaire. Umständliche Nachrichten von seiner Lebensart, von seinen Hausgenossen und Freunden, Frau Denys, Herr Adam und Herr du Rey. Merkwürdigkeiten auf Ferney. Verschiedene Anekdoten und witzige Einfälle von Voltaire. Ueber dessen moralischen Charaktere.
(pages 93-97)

Das Schloß ist sehr wohl möblirt; es sind Gemälde von grossen Meistern da, eine venus von Paolo Veronese, der unter dieser Gestalt seine eigne Geliebte gamahlt hat, eine Flora von Guido Rheni; diese beiden Tafeln wurden vom verstorbenen Herzoge von Orleans gekauft, der an nackten Bildern Geschmack fand. Auch find zwey Tafeln von Albani hier, eine stellt den Putztisch der Venus, die andre die eingeschlafenen Liebesgötter vor. Ausserdem viele Bildnisse: in Frau Denys Zimmer ist der regierenden Kayserinn von Rußland Catharinas Bildniß in einem grossen Medaillon in Seide gewirkt, es soll sehr gleich seyn, auch steht eingewebt: fait par de la Salle; ganz unten: pré:senté à Mr. de Voltaire par l'Auteur; er ist von Lion. Hier ist auch Voltaires Bildsäule selbst in Marmor, dergleichen fast in allen Zimmern auf dem Schlosse sind, groß oder klein; so auch Bildnisse von ihm in Gips; nächstdem Gemälde von seiner Familie; auch der Frau von Pompadour Bildniß, von ihr selbst gemahlt und dem Hrn. v. Voltaire geschenkt. Im Saale, wo er Fremde empfängt, ist das Bildniß der Marquisinn du Chatelet, die so gelehrt war, und in der Physik schrieb; man sagt, Hr. v. Voltaire sey ihr Liebhaber gewesen, und ihr Sohn der Generallieutenant, Marquis du Chatelet, der sich in Paris aufhält, gehöre Hrn von Voltaire so viel zu, als ihr; gewiß ists, daß sie vertraute Freunde sind. Im selbigem Saale sind schöne Kupferstiche, von Newton, Locke, u.a.

Der Garte ist sehr schön und groß: er faßt mit dem Park einen grossen Platz ein, dieser hat eine ansehnliche Waldung von Eichen, Linden und Espen, die man auf 300,000 französische Livres schätzt. Vom Garten gehn schöne und lange Alleen nach dem Park hinunter; die Aussichten sind hier sehr schön, hier sind Lauben und immergrüne Hekken, dort ein grüner Rasen von Lauben umgeben, mit vier Eingängen oder Oeffnungen, in der Mitte eine grosse, alte, und dickbelaubte Linde, die mit ihren Zweigen die Laube deckt; man nennt dis des Hrn. v. Voltaire Kabinet, es ist seine Freystatt, wo er arbeitet und niemand zu ihm kommen darf; wenn er sich wohl befindet, geht er allzeit hieher, setzt sich auf eine Bank, und schöpft hier seine dichterischen Erfindungen. Nahe dabey ist ein Haus für Seidenwürmer, die er zu seinem Zeitvertreibe ausbrüten läßt; er hat seidene Strümpfe davon gehabt, um sagen zu können, er habe von seines Guts eigenen Produkten getragen. Hier ist auch ein Gewitterableiter mit seiner Kette, die in einen Brunnen hinuntergeht, der ehemals dem Dorf gehörte, und schönes Wasser hatte, itzt aber ist er fast vertrocknet, und was noch zurückgeblieben, ist trübe, unrein und stinkend, die Zweige an den daneben stehenden Bäumen haben auch abgebauet; man schreibt dis alles dem Ableiter zu, ohngeachtet es nur 2 Jahre sind, daß ihn Hr. de Saussure hingesetzt hat. Frau Denys wollte ihn nicht zu nahe am Schlosse haben, darum setzte man ihn abseits in den Garten. Nahe bey der Wohnung der Seidenwürmer ist ein Acker, den man le Champ de Mr. de Voltaire nennt, den er, wie der Kayser von China, mit eignen Händen bauet; er hat dis beständig bis auf voriges Jahr mit eingeschlossen gethan, dis Jahr aber hat er Krankheit halber seine Arbeit nicht verrichten können, doch hat ers düngen lassen; er hat diesen wohlbearbeiteten Boden so stark gedünget, daß die Maizenähren so voll und schwer gewesen, daß sie sich nicht halten können, sondern sich an die Erde gelegt haben. Ausserdem sind hier schöne Irrgärten, ein grosser Teich oder Wasserbehälter, Erdabsätze mit Blumen, Weinberge mit vortreflichen Trauben, Küchen- und Fruchtgarten, deren Mauren überall mit Birnen und Pfirschen bedeckt sind; das Ganze macht eine reizende Lage, man sieht den mit Eis bedeckten Montblanc, eine Aussicht, die zugleich mit den Blumen auf beiden Seiten und deren Geruch einen vortreflichen, und gewiß selten in andern Ländern anzutreffenden Abstich macht.

Neben dem Schlosse selbst ist ein Badehaus, das Hr. vo. Voltaire bauen lasse, seitdem wir hier gewesen, es ist ein kleines Haus von Marmor wit verzinntem Bleche gedeckt; es hat eine marmorne Wanne, wohinein warmes und kaltes Wasser durch zwey bleyerne Röhren läuft; das Wasser wird sehr bequem im Kessel in einem Winkel ausser desm Badezimer gewärmt. Hr. v. Voltaire has es in den beiden letzten Jahren gebraucht, aber gemerkt, daß ihn das Bad schwächte, und es deswegen unterlassen. Es ist gewiß, daß Voltaire im verwichenen Februar sehr krank gewesen. Beine, Hüften, Arme, ja selbst die Hände waren ihm geschwollen, und man hat einen Anfall von Wassersucht befürchtet, itzt aber befindet er sich ziemlich wohl Neben diesem Badehause ist ein längliches hölzernes Gitter, und darin ein Reh, das Hr. v. Voltaire nur seit 6 Monaten hat: er belustigt sich viel damit, es ist auch so schön und artig, als eine arabische Gazelle. Nehmen Sie mirs nicht übel, daß ich in Beschreibung sowol der zwey- als vierfüßigen Kostgänger des Hrn. v. Voltaire so genau bin; alles ist wichtig, was einen so merkwürdigen Philosophen angeht und umgiebt: denn ich wende auf Voltaire seinen eignen Ausdruck an, den er von andern braucht: Grosse Geister, sagt er, einen Newton, einen Fontenelle, u.s.w. zu schaffen, dazu gehören Jahrhunderte, aber einen Freron, einen Nonotte, einen la Beaumelle, einene Patouillet, einen Moralisten, einen Casuisten und mehr solche zu machen, dazu gehört nicht mehr Zeit, als man braucht, ein frisches Ey zu kochen. Voltaire ist ein ausserordentlicher Mann, hat beides Gutes und Böses gestifftet; wäre sein Herz so gut, wie sein Verstand, so wäre er ohnstreitig besser, nützlicher und grösser geworden. Ein Frauenzimmer antwortete ihm artig, als er sie mon coeur nannte: ich wünschte lieber, sagte sie, daß Sie mon esprit sagten.

(page 110)

Haben Sie einem Kupferstich le Lever du Philosophe de Ferney gesehen? er ist von hr. Hubert, von dem ich vorhin geschrieben, Voltaire sieht sich sehr gleich darin, er ist in der Stellung, wie er die Hosen anzieht. Herrn Hubert vermißte ich dismal gar sehr, itzt ist er in Paris, ich hoffte mehr in Karten geschnittene Voltaire von ihm zu bekommen; der, den er vorigesmal schnitt, und ich vom Prinzen von Meklenburg geschenkt bekam, ist nun so abgenutzt, einige tausend Menschen in Italien, sowol an Höfen, als in Hütten, haben ihn gesehen und begriffen; schade ists, daß ich nicht mehere neue bekommen kann, sonst schickte ich Ihnen einen mit der Post.


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